Ich bin verrückt, sagten viele, als ich erzählte, dass ich nach dem Abi abhaue nach Australien. Ich solle was Ordentliches lernen. Geduld war noch nie meine Stärke und die einzigen, die meine Idee guthießen, waren meine Eltern, mein älterer Bruder und natürlich meine Freunde. Mit 19 nach Australien. Ein absolut geiles Gefühl. Angst, dass was schief gehen könnte, hatte ich nie.
Ich durfte bei einer weltweit agierenden NGO beginnen und hatte einen „roundable job“. Immer wieder wurde ich von meiner eigentlichen Abteilung Medien auch in andere Abteilungen geschickt. Es verschaffte mir verschiedenste Aspekte des Unternehmens, aber auch der Kompetenzen einzelner Abteilungen und deren Zusammenarbeit kennenzulernen. Das war ein spannender Prozess. Außerdem machte die Arbeit wirklich Spaß. Die Australier, die ich kennenlernte, waren sehr hilfsbereit, offen. Die Gastfreundschaft ist kein Gerücht. Ich erfuhr sie wiederholt selbst und bin dankbar für diese offene und herzliche Begrüßung.
Am Anfang war es oft sehr lustig – für die anderen, denn der australische Slang oder andere Ausdrücke, Redensarten brachten meine Sprachkenntnisse bis zur Spitze des Eisbergs. Aber ich merkte von Woche zu Woche, dass die Witze und Lästereien über den German Boy weniger wurden. Vielleicht, weil ich ihnen zeigte, dass ich gern arbeite und wenn es nicht perfekt war, versuchte ich das wettzumachen. Vielleicht hatte ich Angst, dass sie mich rausschmissen, wenn ich Mist baue und mich in den nächsten Flieger heimsetzen. Das wollte ich auf keinen Fall. Ich liebe Sydney.
Die offiziellen Arbeitsstunden in Down Under sind von neun bis 17 Uhr. Mir ging es als Praktikant besser. Bei mir war die Voraussetzung, dass ich mindestens fünf Stunden täglich arbeite. Ehrgeizig wie ich bin war ich aber doch gut acht Stunden in der Arbeit. Dort hatte ich ja den meisten Gewinn in puncto Sprache. Zu spät kam ich allerdings öfter, denn die Cityrail verpasste ich meist knapp. Was mich positiv überrascht hat, war das Interesse an mir und ob ich mit der Arbeit zufrieden bin. In Deutschland hört man das wohl selten, dass die Vorgesetzten den Azubi fragen, ob alles passt.
Was ich toll fand bei meinem Aufenthalt in Sydney ist der offene Umgang mit den Kollegen. Keiner nimmt sich zu wichtig, der Smalltalk ist freundlich und die Frage, wie es dir geht, ist ernst gemeint. Bei uns ist alles bierernst. Es wird gearbeitet, wenig gesprochen und gut drauf ist kaum jemand. So jedenfalls mein Eindruck, wenn ich an die Erfahrungen meiner Eltern oder meines Bruders denke. Wer kommt bei uns morgens mit einem breiten Grinsen in die Arbeit? Höchstens wenn er eine Gehaltserhöhung bekommen oder einen besseren Job gefunden hat. Mobbing dürfte in Australien nicht im Brennpunkt stehen. Allein das ist ein Punkt, den ich beachtlich finde. Alle helfen einander, unterstützen sich, ohne viel zu fragen oder sich um das Gerede anderer Gedanken machen zu müssen. Soviel Kollegialität schlägt sich natürlich auch deutlich auf das Betriebsklima und die Effizienz des laufenden Betriebs.
Wegen meiner regelmäßigen Verspätungen: Das interessiert niemand. Es scheint die Regel zu sein und niemand stellt mich streng zur Rede, wenn es mal passiert. So locker ist auch der Dresscode, zumindest hier.
Ich überlege nach dem Praktikum dem Journalismus und Medien treu zu bleiben. Ich habe hier viel Erfahrung sammeln können, die ich in Deutschland einbringen kann. Vielleicht studiere ich auch in die Richtung, mal sehen. Reizvoll wäre auch das Arbeiten in einer politischen NGO. Allerdings ist mir bewusst, dass Deutschland nicht Australien ist und hier ein wesentlich kälterer Wind weht. Die Australier chillen deutlich mehr. Probleme fassen sie als Herausforderung auf, Hindernisse sind einzigartige Chancen, die sich auftun. Diese Einstellung wurde mir teils auch zu eigen während der langen Wochen meines Aufenthalts. Sie leben nicht für die Arbeit, sondern arbeiten, um zu leben. Der Großteil der Australier hält sich am liebsten am Strand, in der Natur auf. Das ist ein Lebensgefühl, das manchem Europäer möglicherweise seltsam erscheint, aber ist man längere Zeit in Down Under begreift man, wie einzigartig diese Natur ist und verbringt seine Freizeit, teils auch die Arbeitszeit, wie selbstverständlich ebenfalls auf diese Weise.
Was ich noch dazusagen sollte: Meine immer besser werdenden Sprachkenntnisse verdanke ich nicht nur meinen sehr netten und verständnisvollen Kollegen, sondern auch dem Sprachkurs, den ich wöchentlich besucht habe. Mit der begleitenden Grammatik und lebensnahen Lektionen, die ich im Job und außerhalb gut anwenden konnte, gelang mir relativ schnell ein guter Einstieg. Meine Leidenschaft für Australien ist nicht kleiner geworden, im Gegenteil. Ich kann mir ernsthaft vorstellen, einmal hierher auszuwandern. Allein dieses Lebensgefühl, die gute Laune und Fröhlichkeit der Menschen haben mich sehr geprägt. Obwohl ich gern wieder hier bin und meine Familie oft vermisst habe, weiß ich, dass es noch Orte gibt, die schön und lebenswert sind. Mein persönliches Fazit: Wenn ihr die Chance habt, ein Auslandspraktikum zu machen, dann ergreift sie! Es gibt nichts Besseres, um sein Leben auf eigene Faust zu toppen.